Der Schwarzwald Whisky

Seit drei Generationen destilliert die Familie Scheibel in Kappelrodeck Kirschwasser und andere Obstbrände. Jetzt bietet sie eine Spirituose an, die den Schwarzwald mit Schottland vereint: badischen Whisky, gebrannt in einer alten Mühle

Michael Scheibel sitzt da. Und kann sich nicht recht entscheiden, wohin er schauen soll: Auf die goldgelbe Flüssigkeit in dem bauchigen Glas, das er sacht in der Hand schwenkt? Oder auf den Bach, der unter dem Glasboden fließt? Das klare Wasser der Acher kommt aus dem Schwarzwald, plätschert über roten Sandstein, am Ufer liegt pittoresk ein zerbrochener Mühlstein.

„Mit dieser Mühle fing alles an“, sagt Scheibel, ein freundlicher Mann Mitte Sechzig mit vollem Haar und kräftigen Augenbrauen. In einem melodisch-badischen Tonfall fängt er an zu erzählen: Wenn sein Großvater Emil das Getreide der Bauern aus der Nachbarschaft mahlte, zahlten diese oft nicht in bar, sondern mit selbstgebranntem Kirschwasser. Bald hatte der Müller Scheibel so viel Schnaps, dass er unmöglich allen selbst trinken konnte. Er musste ihn verkaufen – und merkte schnell, dass der Obstbrand gefragt war, selbst im fernen Berlin fand er Kunden. So gründete er 1921 seine eigene Destillerie. Diese brennt seither Spezialitäten in hoher Qualität: aus Kirsche und Birne, aus Pflaume, Mirabelle und noch manch anderem Obst. Scheibels Kirschwasser wird bei der Lufthansa auf den vorderen Plätzen ausgeschenkt.

Die alte Mühle ist ein romantisches Fachwerkhaus im Ortskern von Kappelrodeck, mit grünen Klappläden steht es gegenüber der Kirche. Im Erdgeschoss befand sich eine Bäckerei. Michael Scheibel zeigt auf ein kleines Fenster, rund wie ein Bullauge, und erklärt verschmitzt: „Von hier konnte der Bäcker sehen, wer sein Brot unten bei der Konkurrenz kauft.“ Wie viele Wirtschaftsbetriebe erlebte auch die Mühle an der Acher einen Strukturwandel: Während die Scheibel’sche Brennerei ein paar Häuser weiter florierte, rentierten sich das Mahlen und Backen immer weniger, 1986 wurde die Mühle stillgelegt. Für Michael Scheibel ist Tradition jedoch so wertvoll, dass er sich nicht vorstellen konnte, das Stammhaus an einen Glutamat-Chinesen zu verpachten. Außerdem verdient er so gut mit seinen Obstbränden, dass er eine kühne Idee verwirklichen konnte: In der stillgelegten Mühle richtete er eine Whiskydestillerie ein.

Nach jahrelanger Planung restaurierte er das alte Gemäuer originalgetreu und ließ einen modernen Anbau errichten, der einen gelungenen Kontrast zum traditionellen Fachwerk setzt: weiße Wände, klare Linien, große Fenster, als Extravaganz wurde im Verkostungsraum der erwähnte Glasboden eingesetzt. Ansonsten sind die Böden aus dunklem Schiefer und rustikaler Eiche, auch bei liebevoll-skurrilen Details wie dem Kleiekotzer wurde nicht gespart.

Whisky muss mindestens drei Jahre im Fass reifen, bevor er verkauft werden darf. Im Herbst 2014 wurde erstmals in der Mühle gebrannt, seit diesen Sommer ist der Schwarzwaldwhisky erhältlich. Er heißt „Emill“, das ist ein Wortspiel: eine Hommage an den Großvater Emil, verbunden mit „mill“, dem englischen Wort für „Mühle“.

Wie kaum ein anderes Getränk verkörpert Emill das Land Baden-Württemberg: Im Keller der Mühle stehen drei große Brennblasen aus Kupfer mit imposanten Schwanenhälsen, handgeschmiedet von der Firma Carl in Göppingen. Die Gerstenmeische kommt von der Alpirsbacher Brauerei, ebenfalls in Württemberg ansässig. Gebrannt und gelagert wird der Whisky in Baden, Kappelrodeck liegt am westlichen Rand des Schwarzwalds, zwischen Baden-Baden und Offenburg.

Mit gut temperiertem Stolz führt Michael Scheibel durch seine Brennerei. 200 Eichenfässer lagern auf vier Ebenen. Die unterste wird vom Bach gekühlt, hier schwanken die Temperaturen im Jahreslauf zwischen 5 und 15 Grad. Auf steilen Holzstiegen geht es unter das spitze Dach, dort lagern die Fässer im Winter bei minus 10 Grad, im Sommer brennt die Sonne mit mehr als 40 Grad. „Diese Temperaturunterschiede sind der Herzschlag von Emill“, erklärt Scheibel lächelnd. Je nach Stockwerk lassen sie den Whisky unterschiedlich reifen.

Zwischen den Dachbalken hängen Spinnweben. Alte Gestänge sind mit Flugrost überzogen und wecken die Phantasie, wie das Räderwerk der Mühle wohl funktioniert hat. Durchs Fenster fällt der Blick auf die Weinberge der Ortenau. In Reih und Glied lagern die Fässer, jedes ist mit einem roten Siegel des Zollamts verschlossen. Der Staat kassiert hier kräftig Branntweinsteuer: In einem maritim anmutenden Kupferzylinder befindet sich die sogenannte Zolluhr. Sie erfasst jeden Liter Rohbrand, der aus den Brennblasen kommt. Unmittelbar nach dem Destillieren ist der Whisky wasserhell, seine Farbe bekommt er erst durch die Lagerung im Fass.

Genauer gesagt reift er in verschiedenen Fässern: in alten Cognacfässern, in gebrauchten Bourbon-Fässern aus Kentucky, in Fässern aus junger Eiche. „Die Fassreifung macht 70 Prozent der Qualität aus“, erklärt Scheibel. Weil er einen guten Whisky mit eigener Note will, achtet er penibel auf das sogenannte Blending: In welchem Verhältnis mischt er das, was vom Holz der verschiedenen Fässern seine jeweils eigene Note bekommen hat?

Spötter behaupten, in Deutschland gäbe es mittlerweile mehr Whiskydestillen als in Schottland. Und auf vieles, was hier gebrannt wird, könne die Welt getrost verzichten. Michael Scheibel weiß um diese Kritik und sagt selbstbewusst: „Wir wollen nicht die Schotten nachahmen. Unser Whisky soll etwas eigenes sein, er soll unser südliches Klima widerspiegeln, das viel milder ist als an der schottischen Küste.“

Im Verlauf von drei Jahren hat er die Cuvée aus den verschiedenen Fässern immer wieder verändert und im kleinen Kreis von Fachleuten probiert. Zu ihnen gehörte auch Bernhard Stöhr, der Barchef des Hotels „Traube Tonbach“ in Baiersbronn. Jetzt gibt es Emill in zwei Versionen. Die eine heißt „Stockwerk“, hat 46 Prozent Alkohol, duftet nach Vanille, schmeckt harmonisch rund nach Karamell, hat konzentrierte Kraft, ist aber mit seinen süßen Aromen weit weg von einem rauchig-torfigen Whisky aus dem Schottischen Hochland.

Der kräftige Bruder von Emill heißt „Kraftwerk“ und hat die Fassstärke von 58,7 Prozent Alkohol. In einer originellen 0,7-Liter-Karaffe kostet er 85 Euro, „Stockwerk“ ist zehn Euro günstiger.

Genüsslich sitzt Michael Scheibel an dem großen Eichentisch, den er für seine Whiskymühle hat anfertigen lassen. Hier kann man in größerer Runde probieren, mit Blick auf den Bach und den Schwarzwald. Im Winter sollen hier Lesungen und andere kulturelle Veranstaltungen stattfinden.

Für den Vertrieb seiner neuesten Spirituose hat sich der Brenner etwas Besonderes ausgedacht: Es gibt sie weder im Versand noch im Fachhandel. „Emill“ kann man nur in seiner Mühle kaufen. Scheibel lächelt verschmitzt und sagt: „Er ist ein Schwarzwälder Original. Wer ihn kennenlernen will, muss zu ihm kommen.“

Der Artikel ist u.a. am 14. Dezember 2018 in „Wirtschaft im Profil“, Ausgabe 26, erschienen.
Ebenso erschienen am 14. Dezember 2018 auf www.neckar-chronik.de.

Link zum Presseartikel auf necker-chronik.de

Autor: Johannes Schweikle

Fotograf (Bild rechts): Erich Sommer